WirtschaftsWerkstatt
Bio-Boom
Bio-Produkte sind längst keine Nischenprodukte mehr, die sich Frau oder Mann in selbstgestrickten Wollpullovern und Jesuslatschen im verkramten Biolädchen kauft. Letzterer gehört ohnehin eher zur aussterbenden Art.

Bio gehört mittlerweile zum Mainstream. Das Wachstum der Nachfrage ist komplett auf eine höhere Mengennachfrage zurückzuführen. (Quelle: GfK Consumer Index 07|2017)
Aus Bio-Supermärkten und Bio-Ecken in Discountern erreichten Bio-Produkte 2019 ein Umsatzvolumen von 12 Milliarden Euro und verweisen auf eine interessante und vielschichtige Zielgruppe: Frauen geben zu 48 % an, häufig Bioprodukte zu kaufen. Männer bekennen sich nur zu 39 % zu häufigem Bio-Einkauf. 47 % der Großstädterinnen und Großstädter kaufen häufig Bio-Produkte, in ländlichen Gebieten sind es nur 7 % weniger. Auch der Bildungsunterschied scheint eine größere Rolle zu spielen – von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die angaben, häufig Bio-Produkte einzukaufen, besaßen die Hälfte die Hochschulreife, diejenigen mit Volks- und Hauptschulabschluss kamen auf 35 %.
Gesunde und nachhaltige Ernährung steht bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern im Vordergrund. Das Gefühl, sich selbst und der Umwelt etwas Gutes zu tun, machen den Lifestyle aus.
Tatsächlich sind die Auflagen für den ökologischen Landbau hoch: keine synthetischen Düngemittel, keine Pestizide, keine Gentechnik und damit keine beeinträchtigten Nahrungsketten. Das schützt das Grundwasser, verhindert Insektensterben und schmeckt oft aromatischer. Produkte, die ein Bio-Siegel tragen, müssen alle Inhaltsstoffe vollständig deklarieren. Diese Transparenz hat für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ebenfalls große Bedeutung.
Doch der wachsende Markt kann schon lange nicht mehr aus regionalen Quellen gedeckt werden. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft beziffert die ökologische genutzte Ackerfläche von Deutschland auf gerade einmal 8,7 %, was einen Anteil von 11,7 % an der Gesamtlandwirtschaft ausmacht. Die Folge ist, dass mehr Produkte importiert werden. Das verschlechtert die Ökobilanz. Die nachgefragte Menge von Bio-Produkten kann auch schon lange nicht mehr von liebevollen Kleinbauern mit glücklichen Tieren produziert werden. Die Platzierung von Bio-Produkten bei Aldi, Lidl und Co. hat ihren Preis, der durch die Discounter gedrückt wird.
Die Industrialisierung der ökologischen Landwirtschaft und ihre Auslagerung ziehen vor allem die Transparenz in Mitleidenschaft: lange Wege, Ackerland in ärmeren Weltregionen und komplexere Lieferketten sind schwer zu kontrollieren. So kommt es auch in der heilen Bio-Welt zu Betrugsfällen und Skandalen. Hinzu kommt, dass die Menge an Bio-Siegeln kaum zu durchschauen ist: „Bio-Siegel garantieren die ökologische Produktion von Lebensmitteln und anderen Produkten. Dabei dürfen beispielsweise weder Gentechnik noch chemische Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen. Die Anforderungen der Siegel unterscheiden sich allerdings zum Teil erheblich. Besonders streng sind Demeter, Naturland und Bioland.“ (Handelsblatt: Gut statt Geiz)
Ein anderer bedeutsamer Einwand ist die Treibhausemission des Agrarlebensmittelsektors im Allgemeinen, der rund 30 % der weltweit verfügbaren Energie verbraucht – 70 % davon bei der Weiterverarbeitung. Zu einem gewissen Anteil ist auch die ökologische Landwirtschaft daran beteiligt. Nach einer Studie im Fachmagazin „Nature Communications“ sinken bei biologischem Anbau zwar die Emissionen an Treibhausgasen, doch leider auch die Erträge. Bei unveränderten Ernährungsgewohnheiten fehlten dann rund 40 % der Nahrungsmittel. Das bedeutet, dass die Ackerfläche vergrößert werden müsste, um die gleiche Ertragsmenge zu gewährleisten, wobei es fraglich ist, ob das angesichts des verfügbaren Überangebots und der Verschwendung von Lebensmitteln überhaupt notwendig ist.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher können den Klimaschutz jedoch auf eine ganz andere Weise unterstützen: Würden die Lebensmittelabfälle halbiert, könnten sich die deutschen Treibhausgas-Emissionen von 2015 um rund 9,5 % reduzieren. Allein der Kauf von Bio-Produkten wird also den Klimawandel kaum aufhalten, wenn nicht eine Änderung unserer Ess- und Lebensgewohnheiten damit einhergehen.